Markus Rassiller: Was hat das mit Religion zu tun? Eine Grounded Theory impliziter Theorien von Schüler·innen und mögliche didaktische Schlussfolgerungen
Schwerpunkt 2
Beginn: 2020
Co-Betreuung: Prof. Dr. Petra Bleisch (HEP|PH Freiburg), PD Dr. Ansgar Jödicke (Universität Freiburg)
Projektbeschrieb
In ihrem Alltag begegnen Schüler·innen in unterschiedlichen Kontexten Religion und religiösen Praktiken, sie setzen sich damit auseinander, müssen sich ggf. auch dazu verhalten (beispielsweise im Unterricht) und haben dadurch Teil an der gesellschaftlichen Produktion der in Rede stehenden Vorstellungen (Berger & Luckmann, 2021 [1966]). Die dadurch entstehenden Alltagsvorstellungen haben einen grossen Einfluss darauf, wie Schüler·innen im Unterricht über Religion denken, wie sie darüber kommunizieren und auch, ob sie etwas überhaupt als religiös wahrnehmen und klassifizieren. Bei der Planung von Unterricht ist es daher unumgänglich zu wissen, auf Grundlage welcher Präkonzepte Schüler·innen den zu unterrichtenden Gegenstand kognitiv vorstrukturieren (vgl. dazu die Forschungen im Rahmen des Modells der didaktischen Rekonstruktion: Kattman, 1997; Reinfried et al., 2007). Bisherige empirische Untersuchungen auf diesem Gebiet sind in ihrem Erkenntnisinteresse vor allem religionspädagogisch gerahmt; die befragten Schüler·innen nehmen am konfessionellen Unterricht teil oder werden gezielt nach ihrer Religiosität befragt (vgl. Gennerich & Streib, 2020; Helbling, 2018). Dabei sind bestimmte, theologisch geprägte Vorannahmen leitend, z. B. die Frage nach dem Gottesbild. Daher werden in dieser Forschungsarbeit Schüler·innen aus den Sekundarstufen I und II befragt, die seit längerer Zeit einen nicht-konfessionellen Unterricht besuchen.
Methodisch wird das Forschungsdesign der grounded theory Methode (GTM) angewandt (vgl. z.B. Strauss & Corbin, 1996 [1990]). Durch qualitative Fokusinterviews werden die impliziten Konzepte der Schüler·innen erhoben, analysiert und in eine Typologie von Konzepten modelliert. Als Kontrastgruppe werden Schüler·innen des Religionsunterrichts in die Untersuchung mit einbezogen. Dieses Verfahren der Kontrastierung (religiös vs. nicht-religiös geprägte Konzepte von Religion) stellt innerhalb der GTM ein Qualitätskriterium dar, weil hierdurch u. a. die «konzeptuell relevante […] Heterogenität des Forschungsgegenstands sowie eine potenzielle Irritation bisheriger Konzepte und Kategorien» erreicht werden kann (Dimbath, Ernst-Heidenreich & Roche, 2018). Die Ergebnisse, eine grounded theory der impliziten Theorie(n) über Religion, werden in einem letzten Schritt im Hinblick auf mögliche Konsequenzen für die religionskundliche Fachdidaktik ausgewertet. Es ist zu erwarten, dass empirische Untersuchungen, die die impliziten Theorien von Jugendlichen erheben, die bisher vorliegenden fachdidaktischen Konzepte (vgl. z.B. Frank, 2015, 2016) sowohl inhaltlich als auch funktional erweitern können, insbesondere für Fächer wie NMG oder ERG, aber auch für den Religionsunterricht. Die Forschungsarbeit leistet daher v.a. einen Beitrag zum Schwerpunkt 2 «Vorstellungen mit Bezug zum Fachunterricht» der Forschungseinheit.
Literatur
Berger, P. L. & Luckmann, T. (2021). Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie (28. Aufl.). Fischer Taschenbuch.
Bleisch, P. (2017). Didaktische Überlegungen zum Unterricht in Religionskunde in einer religionspluralen Gesellschaft. In P. Büttgen, A. Roggenkamp & T. Schlag (Hrsg.), Studien zur religiösen Bildung. Religion und Philosophie. Perspektivische Zugänge zur Lehrer- und Lehrerinnenausbildung in Deutschland, Frankreich und der Schweiz (Bd. 13, S. 179–197). Evangelische Verlagsanstalt.
Dimbath, O.; Ernst-Heidenreich M. & Roche M. (2018). Praxis und Theorie des Theoretical Sampling. Methodologische Überlegungen zum Verfahren einer verlaufsorientierten Fallauswahl. Forum: Qualitative Sozialforschung, 19(3), Art. 34.
Frank, K. (2015). Vermittlung und Rezeption von religiösem und säkularem Wissen im schulischen Religionsunterricht. Zeitschrift für Religionskunde, 1, 43–61.
Frank, K. (2016). Skizze eines religionswissenschaftlichen Kompetenzmodells für die Religionskunde. Zeitschrift für Religionskunde, 3, 19–33.
Gennerich, C. & Streib, H. (2020). Jugend und Religion. In H.-H. Krüger, C. Grunert & K. Ludwig (Hrsg.), Handbuch Kindheits- und Jugendforschung (S. 1–21). Springer Fachmedien. https://doi.org/10.1007/978-3-658-24801-7_45-1
Helbling, D. (2018). Wie Kinder Religion und Religionen begegnen. In M. Adamina, M. Kübler, K. Kalcsics, S. Bietenhard & E. Engeli (Hrsg.), Wie ich mir das denke und vorstelle… » Vorstellungen von Schülerinnen und Schülern zu Lerngegenständen des Sachunterrichts und des Fachbereichs Natur, Mensch, Gesellschaft (S. 291–309). Julius Klinkhardt.
Kattmann, U., Duit, R., Gropengießer, H. & Komorek, M. (1997). Das Modell der Didaktischen Rekonstruktion – Ein Rahmen für naturwissenschaftsdidaktische Forschung und Entwicklung. Zeitschrift für Didaktik der Naturwissenschaften, 3(J3), 3–18.
Reinfried, S., Mathis, C. & Kattmann, U. (2009). Das Modell der Didaktischen Rekonstruktion: Eine innovative Methode zur fachdidaktischen Erforschung und Entwicklung von Unterricht. Beiträge zur Lehrerbildung, 27(3), 404–414.
Strauss, A. & Corbin, J. (1990/1996). Grounded Theory: Grundlagen Qualitativer Sozialforschung. Beltz.