Ariane Schwab: Handeln mit Literatur: Kulturelle Praktiken mit Bilderbüchern im Kindergarten
Dissertation, Schwerpunkt 1
Beginn: 2021
Betreuung: Prof. Dr. Gabriela Scherer (Universität Koblenz-Landau, Deutschland)
Projektbeschrieb
Literatur kann im Unterricht auf verschiedene Weisen und unter unterschiedlichen Zielperspektiven eingesetzt werden. Gemäss Rosebrock (1995) lassen sich drei Funktionen dieses Einsatzes beschreiben: Neben erstens einer Einführung in eine bestimmte Thematik des (Fach-)Unterrichts, kann Literatur zweitens im Sinne der Leseförderung zum Lesen animieren. Zudem ist drittens eine ästhetisch-bildende Funktion mit der Ausprägung literarischer Kompetenzen gegeben. Letztere Funktion wird mit der Ausrichtung auf den Lehrplan21 und in einem breit geführten literaturdidaktischen Diskurs (Scherer, 2020) für das Unterrichtshandeln vermehrt eingefordert.
In der Schule – gefasst als kulturelles System, in dem Wissen (re-)produziert und ausgehandelt wird – zeigen sich hegemoniale Praktiken und Wissensordnungen im Umgang mit Literatur (Ritter & Ritter, 2019; Kruse, 2013). Erste Erkenntnisse zu kulturellen Praktiken mit Bilderbüchern zeigen, dass diese literarischen Texte insbesondere zur Behandlung von Werten und zur Schulung der Lesekompetenz eingesetzt werden (Dichtl, 2017).
Im vorliegenden Promotionsprojekt mit dem Fokus auf kulturelle Praktiken mit Literatur wird mit der Grounded Theory (Strauss & Corbin, 1996 [1990]) ein offener Forschungsstil gewählt, um in den Blick zu nehmen, was in der Praxis mit Literatur getan wird. Dabei wird die Schuleingangsstufe erforscht, die in ihrer initialen Funktion in institutionelle Praktiken einführt und hier erste schulische Lernprozesse beobachtbar sind. In einer praxeologischen Untersuchung, wie sie Knipp (2017) vorschlägt, liegt der Fokus auf sozialem und medialem Handeln von Akteur·innen. Zur Datenerhebung wird im Projekt ein ethnografischer Zugang verfolgt, wobei vornehmlich der Umgang mit Bilderbüchern fokussiert wird. Als Daten dienen Beobachtungsprotokolle, Bilddokumente, Fotografien, Video- und Audiodokumente, welche diese Praktiken dokumentieren. Mit dem Kodierparadigma der Grounded Theory werden die Daten in einem zirkulären Verfahren erhoben und ausgewertet. Zur vertieften Analyse der (Re-)Produktion und Transformation kultureller Bedeutungen wird der Kulturkreislauf (Hall, 1997) beigezogen, um die Bedeutungsproduktion in ihrer Komplexität beschreiben zu können. Leitende Fragen für die Untersuchung sind, welche Praktiken sich rund um (Vor-)Lesesituationen von Bilderbüchern beobachten und beschreiben lassen und welche Bedeutungen von Literatur und durch Literatur (Jentgens, 2016, S. 16) ausgehandelt werden: Was verstehen die Akteur·innen unter Literatur und was tun sie damit?
Die Klärung der genannten Fragen ist insofern bedeutsam, als Kontexte und Bedingungen schulischen Lernens rund um Literatur beleuchtet werden. Dies kann zur Konkretisierung der Frage beitragen, welche Anknüpfungspunkte sich in der Praxis für aktuelle, weiter oben als dritte Funktion charakterisierte fachdidaktische Bemühungen um die Modellierung literar-ästhetischer Bildungsprozesse mit Bilderbüchern (Scherer et al., 2020) ergeben.
Literatur
Dichtl, E.-M. (2017). Das zeitgenössische Bilderbuch. Didaktische Chance und Herausforderung in der elementarpädagogischen Ausbildung. Peter Lang.
Hall, S. (1997). Representation: Cultural representation and signifying practices. Sage in association with The Open University.
Jentgens, S. (2016). Lehrbuch Literaturpädagogik. Beltz.
Knipp, R. (2017). Literaturbezogene Praktiken. Überlegungen zu einer praxeologischen Rezeptionsforschung. Navigationen – Zeitschrift für Medien- und Kulturwissenschaften, 17(1), 95–116.DOI: https://doi.org/10.25969/mediarep/1736.
Kruse, I. (2013). „… Und hier ist dann das Bild.“ Umgang mit Text-Bild-Korrespondenzen beim schulischen Bilderbuchvorlesen. In I. Kruse & A. Sabisch (Hrsg.), Fragwürdiges Bilderbuch: Blickwechsel, Denkspiele, Bildungspotenziale. Kopaed.
Ritter, A., & Ritter, M. (2014). Zwischen vermeintlichen Stühlen—Einstellungen und beliefs von Grundschullehrer(inne)n im Kontext literarischer Lernprozesse mit Bilderbüchern. In G. Scherer (Hrsg.), Bilderbuch und literar-ästhetische Bildung: Aktuelle Forschungsperspektiven (S. 141–154). WVT Wissenschaftlicher Verlag Trier.
Rosebrock, C., & Rosebrock, C. (1995). Lesen im Medienzeitalter: Biographische und historische Aspekte literarischer Sozialisation. Juventa Verlag.
Scherer, G., Heintz, K., & Bahn, M. (2020). Das narrative Bilderbuch: Türöffner zu literar-ästhetischer Bildung, Erzähl- und Buchkultur. WVT Wissenschaftlicher Verlag Trier.
Strauss, A. L. (1998). Grundlagen qualitativer Sozialforschung: Datenanalyse und Theoriebildung in der empirischen soziologischen Forschung (2. Aufl.). Wilhelm Fink Verlag.